Der Künstler kann für Baumeister das unbegreifliche Mysterium der Natur und der menschlichen Existenz sichtbar machen, in dem er gerade nicht die äußere Erscheinung der Natur nachahmt, sondern das Wesentliche von Nautrprozessen und menschlicher Welterfahrung im Malakt nachschafft.
—————————— Willi Baumeister (1889 bis 1955) zählt zu den bedeutendsten Malern der deutschen Avantgarde in den späten vierziger und fünfziger Jahren. Sein Buch „Das Unbekannte in der Kunst“, in dem er sein Kunstverständnis beschreibt, hat er in den letzten Kriegsjahren geschrieben und im Jahr 1947 publiziert. Seine Kunsttheorie ist eine Verteidigung der abstrakten Kunst, geschrieben in einer Zeit, in der diese als „entartet“ verfernt und er selbst mit einem Mal- und Ausstellungsverbot belegt worden war.
Die Fragen, die in dieser Ausstellung im Vordergrund stehen, lauten: Was verstand Baumeister unter dem Begriff des „Unbekannten“, und wie verhält sich seine Kunsttheorie zu seinem Spätwerk? Der Kern seiner Kunsttheorie postuliert das „Unbekannte“ als Quintessenz der Kunst. Obwohl nirgends eine Definition des „Unbekannten“ gegeben wird, sondern nur Umschreibungen seiner Eigenschaften, kommt die Definition „das Geheimnis der Schöpfungstat“ am ehesten dem entgegen, was Baumeister zu verdeutlichen versucht. Die wesentlichste Rolle spielt das Unbekannte in der abstrakten Kunst. Wenn nämlich das Kunstwerk nicht von etwas anderem abgeleitet ist, interpretiert es die Urkraft des Schaffens.
Baumeister weist auf die Verwandtschaft zwischen dem Unbekannten und den Naturkräften hin. Er ist der Meinung, dass das Schaffen eines Kunstwerks das Handlungsvermögen des Menschen übersteigt und Teil von Prozessen in der Natur ist. Der Künstler sollte die Naturkräfte, und somit das „Unbekannte“, durch das Hervorbringen möglichst reiner Formen manifest werden lassen. Für Baumeister existieren, diese reinen Formen nicht nur in geometrischer Gestalt, sondern es sind Formen, die mit Grundformen in der Natur verwandt sind.
Das Unbekannte im Schaffensprozess des Künstlers ist nach der Vorstellung Baumeisters ein Mysterium, das mit den Begriffen ‚Numinoses‘, oder ‚Heiliges‘ umschrieben werden könnte. Im Aufzeigen des Zusammenhangs zwischen den spirituellen Kräften und der Kunst scheint Baumeister Wassily Kandinsky und seinem 1912 publizierten Buch „Über das Geistige in der Kunst“ zu folgen. Baumeister verweist auf die darin genannte „innere Notwendigkeit“ und den dynamischen Charakter des Geistigen.
Er meint, dass auch das Unbekannte nicht statisch und absolut sei, sondern beweglich und veränderlich. Es äußere sich in einer Vielzahl von Erscheinungsformen des Werdens und Vergehens. So wird das Leben zu einer ständigen Metamorphose.
Baumeister verdeutlicht den Arbeitsprozess eines Künstlers in einem Schema: Der Künstler geht von einem Einfall oder einer Vision aus, die eigentlich ein Scheinziel ist, an das er sich klammert, weil das Unbekannte, das eigentliche Ziel, nicht vorstellbar ist.
Das Schaffen eines abstrakten Kunstwerkes bedeutet das Streben nach Einheit zwischen den Formkräften des Künstlers und den Formkräften des Materials. Nach Baumeister liegt das wahre Ziel jedes künstlerischen Strebens mehr im Arbeitsprozess selbst als im Endprodukt. Durch die Mitarbeit des Künstlers werden während des Schaffensprozesses die Formkräfte der Natur als das Wahre aus ihrem chaotischen „Urzustand“ in einen Zustand der künstlerischen Ordnung gebracht.Kunst wird so zu einer unendlichen Schöpfungstat und Kunstwerke, die die Resultate dieses Vorgangs sind, dokumentieren nur diesen Prozess. Der Betrachter muss sich eins fühlen mit dem Kunstwerk.
Baumeister weist auf die Verwandtschaft zwischen dem Unbekannten und den Naturkräften hin. Er ist der Meinung, dass das Schaffen eines Kunstwerks das Handlungsvermögen des Menschen übersteigt und Teil von Prozessen in der Natur ist.
Zur Legitimation der abstrakten Kunst weist Baumeister nicht allein auf Parallelen mit Naturerscheinungen hin, sondern auch auf die Nähe zu den archaischen und nichteuropäischen Kulturen und zur fernöstlichen Literatur und ihren Lebensanschauungen. Im tiefsten Inneren des Menschen ist für Baumeister ein kollektives Erbe verborgen. Diese Ansicht ruft Assoziationen zu den Theorien von Carl Gustav Jung für das kollektive Unbewusste hervor, dessen Ideen Baumeister kannte. Baumeister erfuhr in Gegenständen aus den nichtwestlichen Kulturen eine ursprüngliche Formenkraft, die eine undurchdringliche Magie besaß. Hier würde die Lebenskraft der Welt rein und stark sprechen. Er nahm in diesen Kulturen noch den Zusammenhang zwischen Kunst, Natur und Religion wahr, die im Westen verlorengegangen sei. Seine Erfahrungen der außereuropäischen Kulturen sammelte Baumeister einerseits durch den Besuch von Sammlungen, etwa im Linden-Museum für Völkerkunde in Stuttgart, zum andern durch das Literaturstudium.
Das Interesse Baumeisters an der Kunst und Kultur des Fernen Ostens begann in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre. In erster Linie interessierte ihn die Kunst der Kalligrafie, aber schnell erweiterte er seinen Blick auf fernöstliche Lebensvorstellungen insgesamt. In sein Tagebuch schrieb er am 2. November 1939, dass er begonnen habe, sich in den Zen-Buddhismus zu vertiefen. Aus Texten der vierziger Jahre lässt sich schließen, dass er sich vor allem mit den Lehren des Tao und Zen verbunden fühlte, in denen die Betonung auf der Reinheit und der Einfachheit beruht, dem „Zustande eines neutralen Nichts, aus dem heraus scharf und intensiv beobachtet werden kann“ – Ziellosigkeit, um Einblick in das Wahre zu erreichen und es als einen endlosen Strom des Lebens zu begreifen. Daneben hatte Baumeister ein besonderes Interesse an Objekten aus den präkolumbianischen Kulturen und an afrikanischer Kunst.
Ein auffallendes Merkmal im Spätwerk Baumeisters ist der Gebrauch von Schwarz. Die Vorliebe für Schwarz könnte mit dem Streben nach Reinheit und der Rückkehr zum Nullpunkt zusammenhängen. Die Wahl von Schwarz bedeutet, dass nicht eine bestimmte Farbe gewählt wird, sondern alle und zu gleicher Zeit keine, das Farblose. Diese Eigenschaften der Farbe Schwarz lassen an verschiedene Eigenschaften denken, die Baumeister im Zusammenhang mit dem Unbekannten genannt hat. Das Schwarz wird von ihm auch oft als Gegenspieler der Farbe benutzt. Im Zentrum der Serie der „Montaru“-Bilder, an denen der Künstler in den letzten Jahren seines Lebens arbeitet, steht eine große schwarze Form. Am Rande dieser schwarzen Form und um sie herum sind Linien und kleine Formen in verschiedenen Farben arrangiert. Es scheint, als ob die kleinen Figuren, die teils eher einen geometrischen, teils eher einen organischen Charakter besitzen, von der zentralen schwarzen Form abgeleitet sind.
Der Künstler kann für Baumeister das unbegreifliche Mysterium der Natur und der menschlichen Existenz sichtbar machen, in dem er gerade nicht die äußere Erscheinung der Natur nachahmt, sondern das Wesentliche von Nautrprozessen und menschlicher Welterfahrung im Malakt nachschafft. Das gesamte Spätwerk Baumeisters ist ein eindrucksvoller Beleg für die Ernsthaftigkeit seines künstlerischen Bemühens, dieser Forderung gerecht zu werden. Die von Dr. Helen Westgeest, Amsterdam, konzipierte Ausstellung versucht Baumeister herausragenden Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts anhand seiner kunsttheoretischen Reflexion darzustellen. Seine Thesen zum „Unbekannten in der Kunst“ werden in der Konfrontation mit seinem malerischen und graphischen Werk anschaulich. Baumeisters Faszination für nichteuropäische Kulturen, in denen er einen universalen und überzeitlichen Gestaltungswillen entdeckte, belegen Exponate aus dem Linden-Musuem in Stuttgart.
Die Bochumer Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Cobra Museum Amstelveen.