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קִבּוּץ – Kibbuz. Patrick Faigenbaum – Penny Hes Yassour
18 Okt 2008———18 Jan 2009

—————————— Der 1954 in Paris geborene und dort lehrende Patrick Faigenbaum gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Porträtisten. Mit seinen fotografischen Einzel- und Gruppenbildnissen von Aristokraten in ihren Palazzi in Venedig, Florenz, Rom und Neapel erregte er erstmals 1985 international Aufsehen und Catherine David lud ihn zur documenta X ein. Patrick Faigenbaum blickt mit den Augen eines Malers durch das Kameraobjektiv; seine aufwendig produzierten, ‚gemäldegroßen‘ Schwarz-weiß und Farbabzüge kennzeichnen den malerischen Einsatz von Licht und Schatten sowie nahezu altmeisterlichen Kompositionsprinzipien. Für eine zeitgemäße Bildsprache studiert er Maler wie Duccio, Pierro della Francesca, Jan Vermeer, Rembrandt, Antoine Watteau und Pablo Picasso, Bildhauer wie Auguste Rodin oder Fotografen wie August Sander, Brassï, Walker Evans und Jeff Wall. Mit diesem Wissen inszeniert er so, dass der dargestellte Mensch und der von ihm geprägte Raum diese Bilder beherrscht: „Wenn ich Menschen fotografiere, möchte ich sie zu dem Punkt bringen, wo sie ganz bei sich sind. Bei sich sind sie, wenn sie nachdenken. Dann vergessen sie die Zeit, es ist dann so, als sei ich nicht da. Ich mag das Zeitlose, das Außer-der-Zeit Sein.“ Sowie die Porträtierten sfumatohaft fotografisch gemalt erscheinen, Licht und Farbe ihre Umrisse verschwinden lassen, so fließen Vergangenheit und Gegenwart, Dauer und Flüchtigkeit ineinander
Seit mehreren Jahren arbeitet Patrick Faigenbaum an einer Bildnisfolge von Menschen, die im Kibbuz Ein Harod leben. Bevor die gesamte Serie erstmals im dortigen Kunstmuseum Mishkan Le Omanut, kuratiert von Galia Bar Or und Jean-François Chevrier, präsentiert wird, zeigt die Bochumer Ausstellung circa 30 Werke vorab. Einzelnen Mitgliedern dieser besonderen kollektiven Gesellschafts- und Lebensform Rechnung tragend, hat er eine Fotoserie mit gestalterisch sehr unterschiedlichen Einzelwerken geschaffen. Mit dem aus der Musiktheorie hergeleiteten Begriff des Modus erfasst die Kunstgeschichte seit dem 18. Jahrhundert das Phänomen, die Form, den Stil aus dem jeweiligen Inhalt beziehungsweise Subjekt heraus zu entwickeln. Gemäß dieser Tradition finden sich sowohl Schwarz-weiß- als auch Farbfotografien, offensichtlich inszenierte Kompositionen neben vermeintlich zufällig erfassten Situationen, Halb- und Ganzporträts, Einzel- und Gruppenbildnisse, nahezu intime sowie eher distanzierte Darstellungen, sinnbildhafte Verweise und reale Bezüge zum Lebensalltag. Trotz der Individualität der Dargestellten und ihrer entsprechenden Darstellung ist es Patrick Faigenbaum gelungen, diese Menschen und ihre Bilder in einen inneren, ästhetischen Zusammenhang zu bringen.

Spiegelt Patrick Faigenbaum Geschichte und Gegenwart des Kibbuz in den Gesichtern und den intimen Lebensräumen gleichermaßen authentisch und symbolisch, so abstrahiert Penny Hes Yassour das erweiterte Umfeld, die Umgebung und schafft zugleich deren mentales Diagramm

Auch die 1950 geborene, im Kibbuz Ein Harad Inhud lebende Künstlerin Penny Hes Yassour fand mit ihrer Arbeit „Mental Maps – Unvoluntary Memory“, die sie anlässlich der documenta X präsentierte, internationale Beachtung. Mit einem konzeptuellen, förmlich wissenschaftlichen Kunstbegriff thematisiert sie individuelle und kollektive Formen der Erinnerung: „Mir geht es um Erinnerung, aber nicht als eine, die Vergangenheit meint, sondern eine, die ein aktives Element der Gegenwart ist. Das bedeutet, sich in einer besonderen Form der Geschichte gegenüber zu verhalten, als etwas, das aktuell und Teil des Lebens ist.“ Subjektive Erklärungsmuster für historische Ereignisse und aktuelles politisches Geschehen kartographiert sie zu ihren ‚mentalen Landkarten‘. Sie begibt sich an geschichtsträchtige Orte oder gesellschaftliche Brennpunkte, wo sie durch eine metaphorische ‚Häutung‘ eine Art Spurensicherung vornimmt. Um diese labilen Zustände und Situationen sinnlich werden zu lassen, entwickelte sie ihr eigenes Medium, ein farbiges Kautschukmaterial. In Kassel fertigte sie daraus eine weiche Karte des Streckennetzes der Detuschen Reichsbahn, wie es 1937 bestand und die Transporte in die verschiedenen Konzentrationslager ermöglichte. In den letzten Jahren hat sie sich unter anderem intensiv mit der Kultur- und Architekturgeschichte der vom Aussterben bedrohten Kibbuzim beschäftigt. So wie es in Ein Harod sehr früh unter äußerst schweren Umständen zur Gründung eines architektonisch herausragenden Kunstmuseums kam, fanden auch anderenorts engagierte Kunstprojekte statt: In der Bochumer Ausstellung zeigt Penny Hes Yassour einen Kautschuk-Abbdruck einer unvollendeten Theaterwand aus einem Nachbarkibbuz. Dieses zwischen Skulptur, Relief und Zeichnung changierende Objekt provoziert durch seine monumentale Größe und krude, ja brutale Materialität eine verunsichernde Wirkung. Obwohl unmittelbar der Lebenswirklichkeit entnommen, verweigert sich dieses ‚Abziehbild‘ einem vertrauten Wiedererkennen, wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, einer fremden Kultur fordert es den Betrachter zu einer individuellen Selbstverortung auf. Ähnlich uneindeutig verhalten sich die ‚Landschaftszeichnungen‘ von Penny Hes Yassour; es bleibt offen, ob es sich um Realitäten oder Fiktionen handelt, um Innen- oder Außen-, Technik oder Lebensräume, um Ruinen oder im Aufbau befindliche Architekturen. Die nicht zu fixierende Struktur dieser Geisteslanddschaften, ihr ‚in between‘ wird zum Projektionsgerüst individueller Erinnerungen, Ängste – aber auch Hoffnungen.

Tatsächlich lassen sich auch diese bisweilen bedrückenden Zustandsskizzen aus dem unmittelbaren Umfeld der Künstlerin herleiten, können als Abstraktionen der Stallungen und industriellen Anlagen ihres Kibbuz gedeutet werden.

Spiegelt Patrick Faigenbaum Geschichte und Gegenwart des Kibbuz in den Gesichtern und den intimen Lebensräumen gleichermaßen authentisch und symbolisch, so abstrahiert Penny Hes Yassour das erweiterte Umfeld, die Umgebung und schafft zugleich deren mentales Diagramm. Beide Künstler transformieren die Realität eines Kibbuz zur ästhetischen Reflexion von Individuum und Gesellschaft. Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen dem Museum of Art, Ein Harod und dem Kunstmuseum Bochum, sie steht unter der Schirmherrschaft des Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert und des Botschafters des Staates Israel, Yoram Ben-Zeev. Das Projekt findet anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung des Staates Istrael statt. Es wird gefördert durch die Stadtwerke Bochum, den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen und die Botschaft des Staates Israel.