Mit Unterstützung des Landes Nordrhein Westfalen konnten 1979 zwölf Zeichnungen und eine Lithographie die ursprünglich aus dem Malewitsch-Archiv von Anna Alexandrowna Leporskaja in Leningrad stammen, für die Bochumer Kunstsammlung erworben werden. Nach eingehender Prüfung durch Fachexperten stellt dieses Konvolut des russischen Avantgardekünstlers Kasimir Malewitsch einen Höhepunkt in der 60jährigen Bochumer Sammlungsgeschichte dar.
Diese Blätter hundert Jahre nach Ihrer Entstehung in ihrer Nachwirkung für drei Gegenwartskünstler auszustellen, ist die Motivation ihrer gemeinsamen Präsentation. Das Zusammenspiel ihrer Bilder und Plastiken schafft eine Atmosphäre, die dem Besucher visuell assoziative Zugangsformen zur Kunstgeschichte und aktuellen Kunst ermöglicht.
Malewitsch‘ „Schwarzes Quadrat“ bedeutete eine ästhetische Revolution für das 20. Jahrhundert, eine Befreiung der Kunst. Und doch begreift Malewitsch sein berühmtes Werk aus der Tradition der Ikonenmalerei heraus in einem transzendenten Verständnis – so steht für ihn Abstraktion für Vision und zugleich Utopie.
In Anspielung eines Musiktitels der Band Procul Harum verbindet in der Ausstellung die Farbe Schwarz vier Positionen, die eine suprematistisch analysierende Weltbetrachtung mittels Dekonstruktion und Konstruktion aufweisen. Die so frei werdenden Energien lassen den Ausstellungsraum zu einem Zeiten übergreifenden Kraftfeld werden, das dem Besucher Freiräume eröffnet.
Frank Gerritz gelangte über die menschliche Physiognomie, speziell über den Kopf zu dem Quadrat nahen Kompositionen. Malewitsch Zeichnungen lassen Assoziation einer solchen Metamorphose zu. Die Farbe Schwarz ist für Gerritz Mittel zum Zweck: „Es geht mir nicht um die Farbe Schwarz an sich, sondern ihre einzigartige Fähigkeit, die sich veränderte Qualität des Lichts zu zeigen, wenn es sich über die Oberfläche bewegt. Es ist genau in diesem Moment, dass meine Werke zum Leben erweckt werden.“
Auch Bruno Querci thematisiert das Licht mit seiner schwarz weißen Bilderserie – „Energicoluce and Strutturaluce“. Er beruft sich besonders auf die Zeichnungen von Malewitsch: „Wenn ich Malewitschs Werk betrachte, kann ich feststellen, dass das Zeichnen die Grundlage seiner künstlerischen Kreationen ist. Zeichnungen stellen meiner Meinung nach eine absolute Freiheit dar, also eine Öffnung für Neues. Ich betrachte die Zeichnung nicht als zusätzliches Element der Arbeit. Es ist das Fundament, Primärenergie, die zur Schaffung der Arbeit selbst führt. Wie Malewitsch denke ich, dass Kunst eine Suche ist, sie zielt auf existenzielle Vision und auf das Bewusstsein. Ich sehe in der Zeichnung eine theoretische Struktur und bin diesem Weg immer gefolgt.“
Apostolos Palavrakis realisierte 1992 eine Installation mit dem Titel „videmus nunc per speculum in aenigmate“ (Wir sehen durch einen Spiegel in das Rätselhafte): „Obwohl ich in dieser Installation die Formen, die im Zentrum des suprematistischen Werkes von Malewitsch stehen, bewusst auswählte und einsetzte, verwies ich gleichzeitig, auf jene Elemente, die zur Entstehung eines Werkes beitragen und eine Verwandlung innerhalb des Werkes erfahren. So entstand etwas Neues, das in seinem Inneren all die Spuren, Fragmente zwar enthielt, wie könnte es anders sein, aber letztendlich in der Bildrealität nicht mehr einzeln aufgespürt und nachvollzogen werden können.“ Er zielte mit einer Konfrontation von Malewitsch Zitaten und realen Materialien auf eine „Abstraktion, die die einzelnen konkreten Elemente in dieser Komposition vom Ballast ihrer Gegenständlichkeit befreit, zu einem Nullpunkt gebracht, eine Tabula rasa, ein spirituelles Feld geschaffen, aus dem das Unendliche, das Nichts ahnbar wird.“
Nach der Eröffnung am 25. Oktober 2020 war diese Ausstellung nur für wenige Tage geöffnet, bevor das Museum im Zuge der Corona-Schutzverordnung schließen musste. Wir haben die Laufzeit in Absprache mit den beteiligten Künstlern und Leihgebern bis in den April 2021 verlängern können und freuen uns, nun wieder Besucherinnen und Besucher (mit Terminvereinbarung) begrüßen zu dürfen.